Dreck

„Ich werde das niemals vergessen, niemals! Damals war ich noch gefangen, in diesen stinkenden, zerbröckelnden Räumen. Viel zu viele Menschen darin, wobei, wir waren keine Menschen mehr, der Begriff Mensch wäre ja eine maßlose Übertreibung, wir waren nicht mal Häftlinge, wir waren einfach nichts, gar nichts. Jeder herumstreunende Hund hat ein besseres Leben als wir es hatten, denn ein Hund kann gehen wohin er will, einen Hund lässt man nicht verhungern, nicht in seinem eigenen Dreck dahinvegetieren. Wir waren wie der Dreck. Also wie bereits gesagt, ich bekomme die Szene einfach nicht mehr aus meinem Kopf, ich träume nachts davon, liege wach. Einer der anderen Eingesperrten hatte ein Stück Brot. Keine Ahnung woher, wirklich, keine Ahnung, wir alle hungerten so erbärmlich, aber er hatte ein Stück aufgetrieben. Eigentlich unmöglich, so ein Brot in unserem Lager. Wenn wir überhaupt einmal etwas zu essen bekamen, war es Brei und kein Brot, Brot war etwas Kostbares, ein Schatz. Und er hatte ein Stück davon, ich kann es mir noch immer nicht erklären woher. Als ob es ein Geschenk des Himmels gewesen wäre und er war auserwählt. Er saß zusammengekauert in einer Ecke, schmutzig war es dort, schmutzig war es überall. Es stank bestialisch. Im Grunde war das ein unerträglicher Zwiespalt - hier das Brot, der Inbegriff von Nahrung, von Sättigkeit, ja, das Symbol von Leben. Und drumherum dieser maßlose Gestank nach Erbrochenem und nach Geschissenem, wobei es ja nichts zum Erbrechen und noch weniger zum Scheißen gab. Und mittendrin, eingehüllt von dieser wahnsinnig machenden Luft, das Stück Brot! Also - er saß auf dem Boden und gerade begutachtete er heimlich sein Stück Brot, als ein anderer hungernder Häftling es ihm aus der Hand riss, sofort wegrannte und sich das Teil in den Mund stopfte, ganz gierig, die Augen weit weit aufgerissen und schnell schlang, er war nicht mal in der Lage zu kauen, wie auch, der Mund war ja vollgestopft, ein Teil des Stückes hing noch nach draußen. Der Beklaute ist natürlich gleich hinter ihm her und hat den Dieb erwischt, auf den Boden geworfen, aber der hat seine Kiefern zusammengepresst und hat das Brot nicht mehr hergegeben. Er tränte, so stark presste er seine Kiefern zusammen, er biss sich in dem Leib fest. Er bekam die ganze Zeit kein einziges Stück herunter, wie auch, er presste besessen, das war alles was er tat und der andere schrie, weinte ohnmächtig und seine schwachen Arme waren nicht mal mehr imstande, den Dieb zu verprügeln. Wir haben das angesehen, wir hatten keine Kraft, und wahrscheinlich hätten wir dem Beklauten auch nicht geholfen, sondern hätten den Dieb bestohlen und uns darum geschlagen. Es gibt keine Gerechtigkeit, wenn es kein Essen gibt. Solche Szenen habe ich jeden Tag erlebt. Und diese Bilder werden mich mein ganzes Leben lang verfolgen.“